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Kommentare zu den Liedern
Gebojrn in a sajdn hemdl
Das Lied ist eine Parabel auf den lebenserhaltenden
Wert der Muttersprache. Das Seiden-Hemd der ererbten Sprache ist eine zweite
Haut, die man unter keinen Umständen hergeben darf. Dieses Problem
stellt sich vor allem in der Fremde, wo die Gefahr lauert, sprachliche
Identität einzubüßen.
For ich mir arojs
Pointe dieses Liedes ist die Begegnung zwischen
einem gottgefälligen und einem der Welt verfallenen Juden. Der nach
mühevollen Fahrten schließlich in der Kneipe gelandete arme
ostjüdische Kutscher trifft dort einen Wirt an, in dem er begeistert
einen emanzipierten, klugen deutschen Westjuden erkennt. Eine Nacht lang
Gesprächs partner dieses besseren Menschen zu sein, verführt
ihn zum Trinken bis in den Morgen hinein. Seine gesamte Habe, Pferde und
Kutsche, fällt als Zeche an den berechnenden Wirt. Zum Sabbat muss
der Kutscher heimkehren nur mit der Peitsche in der Hand. Das Symbol seines
Könnens ist ihm als einziger Trost geblieben. Seiner Frau, die
daheim den Sabbat vorbereitet, beteuert er, dass der HERR es schon
richten werde.
Mojde ani
ist ein jüdisches Gebet, das gesprochen
wird beim Aufstehen, noch im Liegen und ohne Händewaschen. Der junge
Mann kann sich nur an die ersten drei Wörter des Gebetes erinnern.
Er beklagt sich, dass er das Gebet vergessen hat. Gründe dafür
sind die in der fremden Welt erlittenen Erfahrungen.
A din-tojre mit Got
Nach einem Pogrom in der Ukraine sieht man
den großen Rabbi Levi Itzchak aus Berditschew in seiner Synagoge
die Stufen des Schreins, der die Thora enthält, erklimmen, die Flügel
des Schreins öffnen und nach einer Klage an Gott, sein eigenes Totengebet,
den Kaddisch, darbringen, denn er versteht sich als Sühneopfer für
sein Volk Israel. Die Klage bezieht sich auf den Bund zwischen Gott und
dem Volk Israel (2. Buch Samuel, Kapitel 7, 23). Der Rabbi fragt, wieso
Gott immer noch am ohnmächtigen Volk Israel festhält und nicht
die mächtigen Nationen wie England, Italien oder Deutschland in die
Pflicht nimmt. Der Berditschewer findet die Erklärung darin, dass
Gott die in der Welt Ohnmächtigen, die Kinder Israels liebt.
Deswegen verlangt der Rabbi von Gott Schutz und Hilfe. Das Hadern
mit Gott, ja sogar das Mit-Ihm-ins-Gericht-Gehen ist eine uralte jüdische
Tradition.
Ich hob dich zufil lib
Ein Song aus dem Theaterstück Katerinchik/Der
Drehorgelspieler, das 1934 an der 2nd Avenue in New York uraufgeführt
wurde. Ein Zigeunermädchen, das sich unsterblich verliebt hat, liest
in den Karten, dass ihre Liebesgefühle für den jungen Drehorgelspieler
nicht erwidert werden.
Nani nani
Ladino, auch Español genannt, ist die
Sprache der spanischen Juden, der Sephardim. Ähnlich wie Jiddisch
wurde das Ladino an Werktagen gesprochen, während das Hebräische
den Feiertagen vorbehalten war. 1492 wurden die Juden aus Spanien vertrieben.
Sie ließen sich u.a. in Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien, Rumänien,
in der Türkei, in Italien und Holland nieder. In den Vernichtungsstätten
der Nazis sind Hunderttausende aus Spanien stammender Juden ermordet worden.
Prozentual gesehen starben in den Konzentrationslagern mehr spanische
als osteuropäische Juden. Allein 95 Prozent der griechischen
Juden Salonikis, nämlich 53 000 endeten in den Gaskammern.
Jafim halejlot bichnaan
Kanaan ist der biblische Name für Erez
Israel - - Der Dichter, Schriftsteller, Lehrer und Direktor des hebräischen
Gymnasiums in Lemberg, Jitzchak Katzenelson, wurde 1886 in Kareliz bei
Minsk geboren. Im Dritten Reich war er wegen seiner öffentlichen Stellung
sehr gefährdet. Im Warschauer Ghetto verlor er seine Frau und zwei
Söhne. Im August 1943 wurden er und sein dritter Sohn Zvi in ein Internierungslager
nach Vittel, Frankreich, überführt. Wenige Monate vor der Befreiung
Frankreichs durch die Alliierten wurde ein Teil der Insassen ins Vernichtungslager
Auschwitz deportiert. Unter ihnen waren Jitzchak Katzenelson und Zvi. Der
Dichter hatte noch in Vittel Frau Ruth Adler seine Schriften in Verwahrung
gegeben. Sie brachte die Manuskripte, im Griff ihres Koffers versteckt,
nach Erez Israel. So konnte seine Elegie Großer Gesang vom ausgerotteten
jüdischen Volk gerettet werden. Itzchak Katzenelson und sein
Sohn Zvi wurden im Mai 1944 in Auschwitz ermordet.
A chasn ojf schabes
Ein junger Kantor hat sich für einen
vakanten Posten in einer Kleinstadt beworben; er wird von drei Handwerkern
geprüft: einem Schneider, einem Hufschmied und einem Fuhrmann. Abwechselnd
lobt jeder von ihnen, dabei die Terminologie seines Gewerbes benutzend,
die Sangeskraft des jungen Mannes. Der Schneider vergleicht sie mit der
Schönheit einer Nähnadel, die durch reichen Stoff sticht oder
dem Bügeln eines teuren Kleidungsstücks. Der Schmied vergleicht
ihre Kraft mit dem Quetschen des Blasebalgs und dem Schlagen des Hammers,
und der Fuhrmann erklärt, dass ihn der Gesang des Kantors so glücklich
gemacht hat, als säße er hinter einem wunderbaren Gespann auf
dem Kutschbock, die Zügel in den Händen haltend, oder höre
den Knall der Peitsche von einem der besten Kutscher. So wählen
die politischen Vertreter der Gemeinde den Vorbeter der religiösen
Gemeinschaft.
A Pastechl, a trojmer
Ein Schäfer, in mitten seiner Herde,
träumt sich in den Himmel. Als er aufwacht, entdeckt er, dass Wölfe
unter seiner Herde ein Blutbad angerichtet haben. Diese Parabel richtet
sich an alle Menschen, die Verantwortung für andere, noch unfertige
Menschen tragen. Darüber hinaus enthält das Gedicht eine große
Klage. Der Hirt ist die Transposition der Rolle Gottes selber in der Welt.
Der Dichter betrauert die von Gott verlassene Welt.
Gehat hob ich a hejm
Geschrieben im Mai 1941. Die alteingesessene
polnische Familie Gebirtig wurde von ihrem Heimatort Lagiewniki, bei Krakau,
in das nahegelegene Ghetto von Podgorze zwangsumgesiedelt. Der Dichter
stellt fest, dass er nichts hatte, was wegzunehmen sich für die Feinde
gelohnt hätte. Der Tischler Mordechaj Gebirtig war mit seinen bescheidenden
Lebensumständen zufrieden und steht jetzt völlig fassungslos
vor den brutalen Ereignissen im Ghetto, die er in seiner Dichtersprache
mit der Pest vergleicht.
Friling
Geschrieben im April 1943 von Schmerke Kaczerginski
nach dem Tod seiner Frau Barbara aus dem Haus Kaufmann. Zum ersten Mal
wurde das Lied in einem Theaterstück im Wilnaer Ghetto vorgetragen.
Im Lied wendet sich der Autor an die Natur, an den Frühling, weil
die Menschen in seiner Umgebung ihm kein Gehör schenken.
S’dremlen fejgl
Lea Rudnitzky, Journalistin und Dichterin,
schrieb im Wilnaer Ghetto dieses Wiegenlied für ein dreijähriges
Kind, das dem Massenmord entging, aber seine Eltern verlor. Als Partisanin
wurde Lea Rudnitzky im September 1943 von der GeStaPo gefasst und nach
Majdanek deportiert, wo sie verbrannt wurde.
Ejli, Ejli, lomo asavtoni
Ein Lied aus dem Theaterstück Eine Nacht
lang Jiddischer König in Polen, uraufgeführt in New York 1896.
Die Anklage in diesem Gedicht bezieht sich auf Pogrome gegen osteuropäische
Juden in Polen u. Russland. Ein halbes Jahrhundert später wurde dieses
Lied von Miriam Eisenstadt, der Nachtigall des Warschauer Ghettos, oftmals
auch vor den Nazi-Besatzern gesungen. Sie beteiligte sich zugleich an Konzerten
der Untergrundbewegung; ihr ständiger Klavierbegleiter im Ghetto war
der weltbekannte Künstler Ignazi Rosenbojm. Traurige Ironie der Geschichte:
die populäre Sängerin wurde von einem Filmteam aus Berlin dazu
missbraucht, dieses Lied für einen, die reale Situation des Ghettos
verfälschenden Propagandafilm vorzutragen. Das Lied beginnt mit dem
Ausruf: Mein Gott! Mein Gott! warum hast Du mich verlassen? Historisch
taucht dieser Ausruf zum ersten Mal auf bei König David, der seine
Sünden bereut (Psalm 22, 2). Am Berg von Golgatha, ruft Jesus, David
zitierend, am Kreuz diesen Satz aus (Matthäus 27,46). Miriam Eisenstadts
Leben sollte ursprünglich geschont werden, doch sie entschloss sich,
das Schicksal mit ihrer Familie zu teilen. Bei der Auflösung des Warschauer
Ghettos im Herbst 1942 wollte sie sich auf dem Umschlagplatz, von wo aus
die Juden zu ihrer Liquidierung abtransportiert wurden, von ihren Eltern
nicht trennen; die Nazis erschossen die Zwanzigjährige auf der Stelle.
Owntlid
Die Melodie zu dem Gedicht von Itzik Manger
drückt das Streben nach Vollendung aus, die Sehnsucht, im harmonischen
Kosmos aufgehoben zu sein. Der Dichter wünscht sich, die Schönheit
der ihn umgebenden Natur möge wie die Reinheit des Gebetes in sein
Gedicht scheinen. Anlässlich einer Festrede zu seinem 60. Geburtstag
in New York, 1961, hat Manger das Lied als Abendgebet vorgetragen:
Euch möchte ich lediglich darum bitten, in Euren Herzen still
Amen zu sagen.
Wir erkennen ...
Papst Johannes XXIII. verfasste 1963
kurz vor seinem Ableben dieses Bußgebet. Als Angelo Giuseppe
Roncalli wurde er am 25.11.1881 in Sotto il Monte bei Bergamo, Italien,
geboren. Im Sommer 1944 stellte er in Zusammenarbeit mit dem Sonderbeauftragten
des amerikanischen Komitees für Kriegsflüchtlinge, Ira Hirschmann,
ungarischen Juden, vor allem Kindern, zahlreiche Taufscheine aus. Dadurch
konnten viele gerettet werden. 1958 ließ er aus den traditionellen
Karfreitagsfürbitten die Stelle von den perfiden Juden und Ungläubigen
streichen. Rolf Hochhuth (Der Spiegel 46/1999) : ... Ich kenne die Gepflogenheiten
nicht, die es dem Vatikan zur Pflicht machen, hin und wieder Heilige zu
kreieren. Nun soll Pius XII. in die engere Wahl gelangt sein. Könnte
man nicht einen anständigen Menschen wie Johannes XXIII. heilig sprechen?
© 2000 Nizza Thobi |